Zwischen Vogue & Windeln„Was ich meinem jüngerenIch sagen würde“ – Ein Briefaus dem Heute. Vom Mut, demeigenen Bauch zu trauenVon Ann‐Kathrin HellgeLiebes jüngeres Ich,du sitzt da mit diesem winzigen Menschenauf der Brust, dein Kaffee ist kalt,dein Herz ist groß und dein Kopf vollvon Ratschlägen. Manche klingen logisch,viele klingen laut. Und irgendwodarunter – leiser, aber unbeirrbar, liegtdein Bauchgefühl.Wenn ich dir aus dem Heute etwasschreiben könnte, dann wäre es dies:Vertrau deinem Bauchgefühl. Nichtblind, aber mutig, denn Ratgeber wechseln,Trends vergehen, Apps werdenaktualisiert. Dein Bauchgefühl aberwächst mit deinem Kind und dir!An dich in den ersten Wochen:Zwischen Flüstern und ChorDu fragst dich, ob du alles „richtig“machst. Ob du zu oft trägst. Ob du„verwöhnst“. Du hörst gut gemeinteSätze aus deinem Umfeld, die doch sogar nicht zu eurer Situation und deinerIntuition passen mögen.Was ich dir sagen möchte: Der Chormeint es meist gut, jedoch kennt ereuer ganz persönliches Lied nicht. EuerTakt entsteht aus Nähe, aus Blicken, auseurem ganz individuellen Tempo. Haltedich an diese drei Fragen, bevor dueinem Tipp von außen folgst:1. Passt es zu unserem Kind?(Temperament, Bedürfnisse,Tagesform)2. Passt es zu uns als Eltern?(Werte, Lebensrealität)3. Passt es jetzt?(Alter, Phase, Energie)Wenn zwei von drei mit „Ja“ beantwortetsind, probiere es aus. Wenn nicht,darfst du jederzeit freundlich abwinkenund bewusst Grenzen setzen. DieseFormulierungen helfen dir dabei undkönnen dich schützen:• „Danke für deinen Blick, aber wirmachen es gerade anders.“• „Das ist ein spannender Ansatz,für uns fühlt sich XY stimmiger an.“• „Wir melden uns gerne, wenn wirhier Input brauchen.“An dich in den Kleinkind-Jahren:Grenzen setzen, ohne das Herzzu schließenDu wirst Momente haben, in denendich die Kommentare mehr treffen alsdir lieb ist. Auf dem Spielplatz, beimKinderarzt, im Familienchat. Aus Liebewird schnell eine To‐do‐Liste: „Du solltest…“,„Ihr müsstet…“.14
Bitte erinnere dich immer wieder:Wohlmeinend ist nicht automatischpassend. Dein Bauchgefühl ist keinspontaner Launen-Kompass. Es ist dieSumme aus Wissen, Bindung, Erfahrung,Intuition und oft verdammt präzise.Mach dir deinen Dreiklang klar:Bauchgefühl + Basiswissen + Profis,wenn’s wichtig wird. Das heißt: Liesnach, wenn es dich beruhigt. Frag dieKinderärztin, wenn dich etwas beunruhigt.Dazwischen kannst du probieren,justieren, weitermachen.Ein Mini‐Ritual, das hilft: S.T.O.P.Stop – kurz innehalten.Tief atmen – einmal länger ausatmenals einatmen.Optionen sortieren – Was sind unserezwei realistischen Wege?Probieren – für 7 Tage. Danach evaluiertihr.Ein Blick aus dem Heute.Heute ist mein Sohn fünf. Ein Vorschulkind.Er schreibt seinen Namenin Großbuchstaben auf jede Frühstücksbox.Er fragt, ob „Drache“ mit Doder T anfängt, und warum der Mondmanchmal „Löcher“ hat. Er fährt ohneStützräder, aber nachts sucht er immernoch meine Hand. Vieles ist leichter:Schuhe gehen schneller, Gesprächetiefer, Wutanfälle seltener. Manches istauch schwerer; Freundschaften werdenwichtiger, Abschiede größer, Gefühledifferenzierter.Neulich beim Abendessen:„Mama, heute habe ich ‚nein‘gesagt, weil ich das nichtwollte. War das richtig?“Ich spüre, wie dasThema „Grenzensetzen“ plötzlich großwird. Mein Bauch sagtganz laut: Ja. Ich bin stolzauf seinen Mut, auf sich zu hören,denn genau das erwarte ich auchvon mir – im privaten Umfeld und imberuflichen Kontext.Der Unterschied zwischen guter Inspirationund DruckInspiration fühlt sich leicht an:„Aha, das könnten wir probieren.“Druck fühlt sich eng an: „Wir müssendas auch so machen.“Du darfst Grenzen setzen – auch gegenüberGroßeltern, Freund:innen,Internet-Kommentaren. Grenzen sindkein Urteil über die Meinung anderer,sondern ein Schutz für euch.Liebes jüngeres Ich: Du wirst nichtalles „richtig“ machen, aber du wirstecht sein. Echt schlägt perfekt, immerund jeden Tag. Dein Kind brauchtkeine perfekte Mama, sondern einepräsente und verbundene. Heute, miteinem fünfjährigen Vorschulkind,weiß ich: Vieles wird leichter. Schuhe,Schlaf, Struktur. Manches wird größer.Gefühle, Freundschaften, Fragen. DeinBauch wächst mit und bleibt dein besterGuide.Vertraue ihm. Er kennt den Weg nachHause. Immer!15
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